Aktuell wird ja sondiert. So sagt man das. Das bedeutet genauer, dass aktuell vier Parteien miteinander an einem Tisch sitzen und sich darüber austauschen, ob sie eventuell Koalitionsverhandlungen aufnehmen sollen.
Das Wort «sondieren» bedeutet laut Duden etwas (vorsichtig) erkunden, erforschen. Also ist das ein erstes vorsichtiges Abtasten, wie man beim Fußball oder gar beim Boxen sagen würde.
Hört man dann jeweils die vier Generalsekretäre der Parteien danach vor den Medien – also im Grunde ja zum Volk – sprechen, so sind das im wesentlichen vier voneinander unabhängige Monologe. Bei den Grünen gibt es übrigens keinen Generalsekretär. Dort heißt das Amt politischer Geschäftsführer. Aber egal.
Das ganze Prozedere zieht sich durchaus lange hin. Danach würden ja noch die eigentlichen Koalitionsverhandlungen folgen. Schon fast logisch ist es daher, dass die anderen Parteien sich darüber mokieren.
Ohne Fortschritte, Strukturen und Abläufe in den Gesprächen beurteilen zu können, frage ich mich jedoch etwas ganz Wichtiges: Wie lange haben die eigentlich Zeit?
Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick in das Grundgesetz. Und etwas Hintergrundwissen zum deutschen Wahlrecht. Das ist übrigens extrem kompliziert. Aber für unsere vorliegende Fragestellung ist die Komplexität gar nicht relevant.
Gewählt wurde bei der Bundestagswahl – deswegen heißt die so – der Deutsche Bundestag. Um genauer zu sein, wurden durch die Wahl zum einen festgelegt, welche Partei wie viele Sitze bekommt und in Teilen sogar, wer diese Sitze dann einnimmt. Mehr hat der Wähler auch gar nicht zu bestimmen.
Der 19. Deutsche Bundestag ist dann auch am 24. Oktober 2017 zum ersten Mal zusammengetreten. Konstituierende Sitzung nennt man das. In dieser Sitzung wurde der Präsident des Deutschen Bundestages gewählt und folgend auch seine Stellvertreter. Immerhin ist dieses Amt in der protokollarischen Rangfolge in Deutschland das zweithöchste. Dazu sei jedoch bemerkt, dass es in Deutschland keine festgeschriebene Rangfolge gibt. Allerdings hat sich eine Art Reihenfolge unter den Verfassungsorganen herausgebildet und da folgt der Bundestagspräsident nach dem Bundespräsidenten. Der «letzte» in dieser Nicht-Rangfolge ist übrigens der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Aber das nur am Rande.
Nun hat der Bundestag aber in dieser Sitzung keinen Bundeskanzler gewählt. Somit gibt es keine Regierung. Ohje! Ohje? Nein, ist gar nicht so schlimm. Das Grundgesetz hat dazu ein paar hilfreiche Regelungen.
Und wie das Grundgesetz so ist, muss man da gar nicht lange suchen oder viel hin und her springen.
In Artikel 69 stehen zwei wichtige Dinge. Zum einen, dass mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages das Amt des Bundeskanzlers und der Bundesminister endet. Das bedeutet, sie sind nicht mehr im Amt. Soweit Abschnitt zwei. Es lohnt sich, kurz weiterzulesen. Denn in Abschnitt drei steht, dass diese Leute auf Ersuchen des Bundespräsidenten verpflichtet sind, die Amtsgeschäfte weiterzuführen.
Die Menschen sind dazu also verpflichtet. Das bedeutet, dass es keine Bitte ist. Es ist ihre Pflicht. Und zwar so lange, bis eine neue Regierung ernannt wurde. Diese wird aber vom Bundespräsidenten nur dann ernannt, wenn der Bundeskanzler vom Bundestag gewählt wurde.
Das steht dann in Artikel 63 des Grundgesetzes. Dazu muss er die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinen. Also nicht «nur» die Mehrheit der abgegebenen Stimmen – das wäre erst im dritten Wahlgang ausreichend, da gelten dann aber auch andere Regelungen.
Ich habe gelernt, dass es sich immer lohnt, wenn man auch um die jeweils relevanten Artikel herum etwas stöbert. In manchen Gesetzen findet man dann dort noch etwas Wesentliches. In manchen Gesetzen auch nicht. Im vorliegenden Fall gibt es weiter nichts Relevantes festzustellen. Lediglich könnte man noch auf die Artikel 64 und 66 verweisen, die etwas mehr Einblick geben. Aber grundsätzlich ist der Abschnitt über die Bundesregierung im Grundgesetz sehr übersichtlich und kurz.
Und was findet sich dort nicht? Richtig: Es gibt dazu keine zeitliche Beschränkung. Theoretisch könnte die aktuelle Regierung bis zur nächsten Bundestagswahl geschäftsführend im Amt bleiben.
Die Befugnisse einer geschäftsführenden Regierung sind nicht beschränkt. Sie hat genau die gleichen Befugnisse wie vorher auch. Lediglich dürfen keine neuen Minister ernannt werden. Das bedeutet, dass bereits vorhandene Minister deren Ministerium mitübernehmen, wenn diese auf wichtigem Grunde ausscheiden und vom Bundespräsidenten entlassen werden.
Auch der geschäftsführende Regierungschef, also aktuell die Bundeskanzlerin, ist nur wenig beschränkt. Sie kann im Grunde ganz normal weiterregieren. Sie darf nach herrschender juristischer Meinung jedoch nicht die Vertrauensfrage stellen. Und an dieser Stelle wird es interessant, wenn aktuell die Diskussion über Neuwahlen aufkommt. Da der Bundestag keine Befugnis hat, sich selbst aufzulösen und die Bundeskanzlerin aktuell die Vertrauensfrage nicht stellen kann, die ja auch die Auflösung nach sich ziehen könnte, je nach Ergebnis, so gibt es nicht mehr viele Möglichkeiten zur Auflösung des Bundestages.
Eigentlich gibt es nur eine Lösung, sofern man Neuwahlen haben möchte: Artikel 63, Absatz 4 des Grundgesetzes. Der Bundespräsident kann, wohlgemerkt muss er es nicht, den Bundestag auflösen, wenn ein Bundeskanzler im dritten Wahlgang gewählt wird, der jedoch «nur» die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält und nicht die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestags.
Hier hat der Bundespräsident eine Wahlmöglichkeit. Er könnte diesen Gewählten dann auch ernennen.
Insofern ist es durchaus ein schwieriger Weg, der zu Neuwahlen führen würde. Aber genau deswegen, wird ja sondiert.
Man sieht, dass auch hier das Grundgesetz mal wieder eine Antwort auf alle Fragen hat. Irgendwie beruhigend. Es gibt eben für alles eine Regelung…